Texte/Reden

Martin Langner

Hinter den Spiegel zu sehen Von der Beunruhigung über die Unordnung der Welt

Ist es die Zeit Bilder zu malen? Objekte zu bauen? Diese Zeit, in der Waffensysteme, Industrieabfälle den Lebensraum des Menschen zu zerstören suchen? In der die internationale, kommunikative Verfügbarkeit des Einzelnen traditionelle Gesprächsformen umkehrt und in der Informationen das Faktische der Welt auszuhebeln imstande zu sein scheinen? Was können künstlerische Arbeiten dagegen bewirken?

Zumindest laden sie zu einer ruhigen Auseinandersetzung ein, zur Wahrnehmung verschiedener Positionen; sie geben die Chance, sich auf ein Zwiegespräch einzulassen. Gerade diesen Dialog provozieren die Bilder und Objekte von Manfred Schlüter. Seine künstlerischen Arbeiten sind derart vielschichtig, dass sie sich dem Betrachter zum Gespräch öffnen. Ihre Figürlichkeit, die Farbauswahl und ihre Sujets scheinen zunächst offen. Der Betrachter wird in die Arbeiten hineingezogen, er muss mit den Augen in ihnen herumwandern, um die Geschichten, die sie erzählen, ganz wahrzunehmen und hat sich schon verfangen. Bald sind es die Themen und ihre Inszenierung, die diese, oft an einem surrealen Realismus orientierten, Bilder entwickeln, bald sind es die Gestaltung und die verwendeten Materialien der Objekte, die den Betrachter in Bann schlagen und die Sichtweise des Künstlers offen legen.

Manfred Schlüter schafft keine plakativen Entwürfe, er bietet keinerlei programmatische Lösungen an, sondern umreißt immer wieder neue Facetten der komplexen Abhängigkeit des Menschen von seinen Entscheidungen, seinen Wegen und seiner Vorgehensweise. Die differenzierte Darstellungsweise Manfred Schlüters, seine ausgezeichnete Beobachtungsgabe erschließen ihm und dem Betrachter immer neue Ebenen und Zusammenhänge, die sichtbar machen, warum diese Welt, die der Mensch sich so eingerichtet hat, kein Paradies für ihn ist. Sie zeigen, dass der vom Menschen losgetretene Fortschritt nicht notwendig zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse führt und dass die Vernunft oder die Einsicht des Menschen nicht zwangsläufig Veränderung bewirken muss.

Manfred Schlüter ist behutsam - und auf der Hut, der allgemeinen Überzeugung als einzig legitimer Sicht auf die Welt zu vertrauen. Er hält sich nicht damit auf, die Bedrohungen auszukosten. Sensibel legt er Strukturen, Bedingungen und die Fragwürdigkeit legitimierter Gewalt bloß und findet eindrückliche Bildmittel, die lange in den Köpfen der Betrachter nachwirken. Er scheut die Darstellung probater Extremlösungen, weil jede radikale Lösung stets Einzelne ausgrenzt. Für ihn steht der individuelle Mensch in seiner Kreatürlichkeit, Würde und Verletzbarkeit an erster Stelle. Ihn gilt es zu schützen, auch vor sich selbst. Eingewoben in den Lauf der Welt, bestimmt und bedrängt von eigenen Entscheidungen, scheint es keine Gewinner in den Kunstwerken von Manfred Schlüter zu geben. Dafür werden in jedem einzelnen Bild, in jedem Objekt neue Möglichkeiten der Gefährdung des Individuums aufgezeigt.

Er lässt die Faktoren figürlich werden, die Einfluss nehmen, zuweilen in grotesken oder surrealen Formen. Wie Vorhänge auf einer Bühne rollt er jene Ebenen auf, die verhängnisvoll zusammenwirken. Nur zeigt sich im jeweiligen Dahinter nicht das Versprechen verheißungsvoller Lösungen, da reißen neue Härten auf und Fragwürdigkeiten werden spürbar. Je länger der Betrachter sich auf die Bilder und Objekte von Manfred Schlüter einlässt, desto mehr wird ihm bewusst, dass diese keine einfachen Darstellungen sind, sondern akzentuierte Versuche, von der Beunruhigung über die Unordnung der Welt zu berichten.


veröffentlicht in
Kataloge der Museen in Schleswig-Holstein 66

herausgegeben vom
Schleswig-Holsteinischen Landwirtschaftsmuseum Meldorf
2003