Texte/Reden

Frank Trende

Laudatio auf Manfred Schlüter - Kulturpreis des Kreises Dithmarschen anlässlich der Verleihung am 6. Dezember 2017

Sehr geehrter Herr Kreispräsident,
sehr geehrter Herr Landrat,
meine Damen und Herren Kreistagsabgeordnete,
liebe Gäste,
sehr geehrter, lieber Manfred Schlüter,

ich freue mich sehr, dass ich hier heute am frühen Abend vor allem gratulieren kann:
Dem Künstler, dem Schriftsteller, dem Illustrator Manfred Schlüter - Dir, lieber Manfred: Herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis, dem Kulturpreis des Kreises Dithmarschen. Er ist ein äußeres Zeichen der Wertschätzung, durch das eine besondere Anerkennung zum Ausdruck kommt: Die Anerkennung für jahrzehntelange kreative künstlerische Arbeit! Die Anerkennung für einen Artisten, einen Philosophen, einen auf seine ganz eigene Art freien Menschen.

Aber ich will heute auch dem Kreis Dithmarschen gratulieren: Gratulieren dazu, dass er mit diesem Preis immer wieder Leistungen herausstellt, die oft genug als viel zu selbstverständlich hingenommen werden. Und ich will Ihnen auch zu diesem Preisträger gratulieren, der sich wirklich und wahrhaftig und mit seinem ganzen Wesen, soweit ich es kenne, der Kunst und der Poesie verschrieben hat. Manfred Schlüter ist ein preis-würdiger Name, der sich gut einfügt in die ehrwürdige Reihenfolge der Preisträger, die durch die Jahre ausgezeichnet wurden.

Und natürlich hab ich mich darüber gefreut, dass Sie mich eingeladen haben, hier heute einiges über Manfred Schlüter und seine Arbeit zu sagen. Ich habe deshalb so gern zugesagt, weil es in diesem Jahr genau 30 Jahre her ist, dass ich den Preisträger kennengelernt habe:

Ich war auch damals fasziniert von der Welt der Bücher, und ich wollte für Zeitungen hier am Ort eine Portraitreihe schreiben über Schriftsteller, die Dithmarschen in die Bücher gewissermaßen hineinschrieben. Boy Lornsen, der von Brunsbüttel nach Keitum auf Sylt gezogen war, war in meinen Augen ein solcher Botschafter Dithmarschens in der Bücherwelt. Er hatte ja die gleiche Schule besucht wie ich, sein "Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt" kannte ich genau, und ihn wollte ich unbedingt kennenlernen und persönlich befragen. Gleich in einer ersten Begegnung - ich weiß es noch genau! Wir saßen in Keitum an seinem großen runden Tisch - fragte er mich, ob ich schon Manfred Schlüter besucht hätte. Der wohne auch in Dithmarschen, über den solle ich auch einmal schreiben, den solle ich mal besuchen, der habe Bilder gemacht für seine Bücher und für die von Michael Ende.

Was war das für ein Donnerwort: Boy Lornsen war schon eine Berühmtheit. Und jetzt noch Michael Ende. Das war für unsereins ein Autor, wie es heute vielleicht J. K. Rowling ist oder sogar Dan Brown. Michael Ende, dessen "Unendliche Geschichte" wir verschlungen hatten und im Kino bestaunt, das war ein ganz Großer! Und dieser Manfred Schlüter, der machte Bilder, Illustrationen, Kunstwerke von eigenem Rang zu den Geschichten, für die Bücher von Michael Ende!

Und tatsächlich: Schlüter hatte zu Michael Endes phantasievollen Texten kongeniale Bilder feinster Poesie gefunden, die die Bücher in ihrem Zusammenklang von Wort und Bild zu wahren Kunstwerken gemacht haben. Und das Ende-Buch "Der Lindwurm und der Schmetterling" hat der Dithmarscher gleich zweimal gestaltet, einmal 1981 und 2005 dann noch einmal. Legt man beide Bücher nebeneinander, dann wird sofort augenfällig, dass der Illustrator sich durch die Jahre entwickelt hat, seine Bild-Sprache immer wieder verändert hat, dass er nicht nur Bewährtes permanent wiederholt und nicht den EINEN Strich pflegt.

Ich fuhr also staunend nach Hillgroven in die alte Dorfschule für meinen ersten Artikel über Manfred Schlüter, der für das Bauernblatt gedacht war. 1987. Vor genau 30 Jahren. Staunend und auch ehrfürchtig. Denn mir war klargeworden: Jemand, der die Bilder macht für die großartigen Bücher von Boy Lornsen und Michael Ende, jemand, der mit diesen beiden "Großen" zusammenarbeitet, ihren Gedanken einen künstlerischen Ausdruck gibt, der ist selbst ein "Großer". Ich dachte: Der Mann ist kein Botschafter Dithmarschens in der Bücherwelt. Es ist genau umgekehrt: Er ist ein Botschafter der Bücherwelt in Dithmarschen.

Und in Hillgroven erlebte ich eine Überraschung. Selbstverständlich: Ich führte ein Gespräch mit dem Künstler, und selbstverständlich sah ich die Originale zu seinen Illustrationen, die ich ja bereits aus den Büchern kannte. Aber ich sah auch noch eine andere Seite des bildkünstlerischen Werks von Manfred Schlüter: ich sah eine ganze Reihe von Bildern, die mich damals stark irritierten und die ich am wenigsten erwartet hatte. Ich sah in Mischtechnik ausgeführte Bilder, die von einer düsteren Aura umflort waren und Titel trugen wie "Wenn in sterbenden Wäldern ..." oder "Morgen-Grauen" oder "Das Opfer".

Wie die bedeutenden Künstler des Surrealismus, etwa Salvador Dali, Giorgio de Chirico oder René Magritte, stellt Schlüter in diesen und anderen Arbeiten ungewohnte Verbindungen gegensätzlicher Motive oder Zitate zusammen, die - ganz realistisch gemalt - eine abgebildete neue Überwirklichkeit schaffen. Manche surrealistischen Bilder geben ja dem Unterbewusstsein, den Träumen der Künstler Ausdruck. Im Falle von Manfred Schlüter waren dies wohl eher Alp-Träume.

Unter dem Eindruck der Industrialisierung, die hier in Dithmarschen vor allem an der Unterelbe, bei Brunsbüttel, vor dreißig Jahren mit aller Macht und voller Wucht um sich griff, die Landschaft und Orte zerstörte, die nicht nur die lang erwarteten Arbeitsplätze brachte, wenn auch weniger als erhofft, sondern auch Atom, Chemie und das unheimliche Wort Restrisiko, drückten viele Künstlerinnen und Künstler der Region ihre Sorgen, ihren Protest aus. Auch bei Manfred Schlüter und in seiner Kunst hat dies Spuren hinterlassen. Aus solchen Bildern spricht Manfred Schlüters große Sorge um unsere Welt, um unsere Zukunft. Diese seine Bilder sind skeptisch, düster, pessimistisch und manchmal auch bissig. Auch diese Arbeiten charakterisieren den Künstler Schlüter, genauso wie seine idyllischen oder pfiffigen oder farbenfrohen Illustrationen und Bilderbücher. Zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb möchte ich ausdrücklich nicht die beliebte Wendung von den zwei Seelen bemühen, die - ach! - in der Brust des Künstlers wohnen: Denn es sind nicht zwei Seelen, sondern es ist ja bloß eine, die Furcht vor Bedrohung empfindet und die Sehnsucht hat nach der Abwesenheit von Bedrohung und nach einer besseren Welt.
Er selbst formulierte es einmal so: "Ich bin der festen Überzeugung, dass uns der ernste Blick die Welt erkennen lässt, der Spaß hingegen die Kräfte wecken kann, die wir brauchen, um unsere Welt in eine bessere zu verwandeln."
So ist es ganz klar, dass Beziehungen, dass Wechselwirkungen zwischen den freien Werken Manfred Schlüters und den Bilderbüchern bestehen, die er auch mit eigenem Text ausstattet.

In Schlüters Bilderbüchern geht es, wie in den freien Arbeiten auch, um den Zustand unserer Welt, um die Ehrfurcht vor der Natur, geht es um den Wert von Toleranz und Freundschaft zwischen den Menschen. Ober besser gesagt: zwischen den Wesen. In dem großen Bilderbuch "Es war einmal ein kleiner Baum" wird auf den ersten Blick klar, dass die Geschichte nicht nur in der Zeit spielt, sondern auch im Raum. Das Bilderbuch "Der, Die, Das und Kunterbunt" ist ein Plädoyer für Toleranz und Vielfalt, heute, auch zwanzig Jahre nach Erscheinen, kann man es lesen, wie einen Beitrag zur Situation der Zeit. Schlüter will helfen, dass die Welt ein wenig bunter wird: Nicht nur die Bücherwelt, sondern unsere große Welt, in der das Fremde Angst machen kann und Vielfalt mit Einfalt kollidiert. Und ich muss auch das Buch "Kein Mensch hat was gemerkt" nennen, dass sowohl mein Sohn als auch meine Tochter mindestens fünfzigmal vorgelesen bekommen wollte - ein Abenteuer der Freundschaft, in dem eine Ratte, eine Katze und eine Eule das Wetterhuhn von Süderkarken befreien, das in einen Schornstein gestürzt war. Aus drei Freunden waren nun vier geworden!

Im Buch "Herr Schwarz & Frau Weiß" reduziert der Künstler seine Farbpalette auf Schwarz und Weiß und jede Menge Grautöne und erzählt eine putzige, eine zauberhafte Geschichte von zwei Gegensätzen, von Herrn Schwarz und Frau Weiß, die zunächst so gegensätzlich sind - ihre Namen lassen es erahnen - wie es stärker nicht geht. Der Volksmund weiß es: Gegensätze ziehen sich an. So ist es auch hier und trotzdem können die beiden nicht zusammenkommen. Sie wollen anders sein, als sie sind. Auch das geht nicht gut. Schließlich überwinden sie ihre Gegensätzlichkeit, ohne auf ihre Eigentümlichkeit zu verzichten. Kann man sich Schöneres denken zwischen den Menschen?

In die freien Arbeiten von Manfred Schlüter sickerte mit den Jahren aus der Bilderbucharbeit ein augenzwinkernder Witz, ein Quäntchen Ironie, eine Prise Selbst-Ironie und eine behutsame Leichtfüßigkeit. Am deutlichsten wird dies für mich in den Materialbildern und Objekten: Bauschutt, alte Schieferplatten, altes Bauholz wird zu künstlerischem Material. Aus Fundstücken und Strandholz, aus altem Werkzeug, aus Wecker und Backform, aus alten Arbeitshandschuhen und ausgetragenen Birkenstock-Schuhen, kurz: aus dem Abfall unserer Wohlstandsgesellschaft montiert der Künstler seine Figuren. Angedeutete Wesen der Realität oder der Phantasie. Eine Arbeit aus Holz, Draht und Teilen eines Weckers mag eine Katze als Vorbild gehabt haben. Aber wer hat dem "Flunkerflügler", einem Phantasiewesen mit einer Backform als Kopf, Modell gesessen? Wer oder was dem "Kleinen Stummelfresser", den Schlüter montiert hat und den er mit den Resten seiner Farbstifte füttert?

All diese Objekte mit wesen-haften Zügen sind entstanden aus Fundstücken und Gegenständen, die in Gebrauch und Form umfunktioniert wurden. Mit einer maximalen Freiheit der Kombination und damit einer maximalen Freiheit der Erfindung isoliert Schlüter die Gegenstände aus ihren bisherigen Zusammenhängen und fügt sie neu zusammen - manchmal ergänzt durch sparsamste malerische Akzentuierung. Ein Zitat soll verdeutlichen, was ich meine:

"Eines Tages hob er einen Löffel vom Tisch auf und betrachtete ihn mit jener abwesenden, entrückten Schärfe, die man in den Augen von Dichtern, Künstlern und Piloten findet. Vorsichtig trug er ihn in seine Werkstatt. Er sollte die Form für den Mund seiner Skulptur "an anxious Friend" werden.

Hier hat nicht Karin Schlüter, die Ehefrau des Künstlers, aus dem Nähkästchen geplaudert, sondern Julien Levy über den berühmten surrealistischen Maler, Grafiker und Plastiker Max Ernst. Und tatsächlich fühle ich mich beim Betrachten dieser menschen- oder tierähnlichen Wesen aus der Werkstatt Manfred Schlüters an Skulpturen von Max Ernst erinnert: Zusammengefügt aus Weggeworfenem und Wiedergefundenem und Zufälligem. Die neu zusammengefügten Objekte können einerseits wie kultische Figuren wirken, wie Fetische oder Totems der sogenannten Naturvölker. So verwandelt das Schaffen des Künstlers wertlosen Abfall in Bestaunenswertes. Andererseits kommen gerade diese Arbeiten Manfred Schlüters augenzwinkernd, humorvoll und leichtfüßig daher. Wer müsste nicht schmunzeln über Opa Scharps alten Pinsel, der mit wenigen farblich gesetzten Akzenten zu Nase, Stirn und Frisur eines Portraits "Mit roter Nase" wird?

Und bei diesen Objekten kommt mir noch einmal der Lebenslauf des Künstlers in den Sinn: Vor 1980, vor seiner folgenreichen Begegnung mit Boy Lornsen und seiner produktiven und beeindruckenden Entwicklung zum Bilderbuchzeichner und Bilderbuchmaler hat Manfred Schlüter auch schon als Maler gearbeitet. Er malte, so sagte er gelegentlich selbst, Plakate, Türen und Fenster. Zu letzteren beiden Werkstoffen ist er jetzt - unter völlig veränderten Umständen, Vorzeichen und Bedeutungen - wieder zurückgekehrt.

Manfred Schlüter ist längst auch ein Dichter - er hat einen ganzen "Reime-Eimer" voller Sprachfertigkeit und Wortwitz veröffentlicht. Und wenn der große Paul Maar, der Erfinder des Sams, meint, Schlüters Verse könnten es mit Ringelnatz aufnehmen, so meine ich: Paul Maar hat natürlich völlig Recht. Aber ich höre auch noch einen anderen Ton heraus - den Ton von Boy Lornsen nämlich. Und mit der Zeit wuchs aus der eigenständigen Erzählweise aus den Bilderbüchern eine Form poetischer Miniaturen, wie sie in den Büchern "Vom Fischer, der ein Künstler war" und "Am Anfang, sagte der Apfel", in denen der Hering oder der Nebel oder der Ofen ihre Vorstellung vom Anfang aller Dinge erzählen. Die Illustrationen, die er dazu gefunden hat, wirken dabei genauso aus einem poetischen Surrealismus heraus aufgefasst, wie die Texte selbst.

Manfred Schlüter ist ein Dichter, der in kleinen Texten große Gedanken anklingen lässt.

Manfred Schlüter ist ein Illustrator, der zeigt, dass auch das Machen von Bilderbüchern - seien es Bilder zu fremden Texten oder zu eigenen - eine eigenständige Kunstform ist.

Manfred Schlüter ist ein freier Künstler, der in Bildern und Objekten eigene ästhetische Ausdrucksformen findet.

Aber diese Schubladisierung seiner Begabungen erfasst ja nicht das ganzheitliche Wesen seiner Kunst.

Ich denke vielmehr:

Manfred Schlüter ist ein großer Artist, der in der Zirkuskuppel über das Hochseil balanciert und dabei genau die Waage hält zwischen dem, was sein Publikum wünscht und dem, was er erreichen möchte, wie er seine Ideen entwickelt, wie er seinen eigenen Maßstäben genügt.

Manfred Schlüter ist ein Philosoph, der sich in der Ruhe und der Einsamkeit des Dorflebens in der Marsch Gedanken macht über den Zustand der Welt, über die Kraft der Phantasie, über die Stärkung der Einbildungskraft, über Ästhetik und Poesie. Seine Kolumnen "Und draußen ist die Welt" auf der Rückseite des Dithmarscher Magazins LÜÜD sind mal ernsthaft, mal albern, mal witzig, mal augenzwinkernd, aber immer auch philosophische Alltagsinterventionen. Draußen ist die Welt - das klingt allerdings auch so, als ob das Drinnen ein bisschen aus der Welt gefallen ist. (Abschweifung: Gandolf zu Bilbo in Beutelsend: "Die Welt liegt nicht in deinen Büchern und Karten. Sie liegt dort draußen!" aus: "Der Hobbit - eine unerwartete Reise", Peter Jackson 2012)

Und Manfred Schlüter ist es gelungen, diesen artistischen Weg in großer Freiheit zu gehen:
Er kostümiert seine Botschaften nicht saisonmäßig um, stets nach der neuesten Mode.
Er möchte nicht das in Wort und Bild erzählen, was sich Verlage wünschen, weil's vermeintlich gut verkäuflich ist, sondern das, was ihm wichtig ist.
Er setzt gute, heile Botschaften in die Welt - Toleranz, Freundschaft, Solidarität, gesellschaftliche Vielfalt oder eben: Farbigkeit - und will damit möglichst viele Köpfe erreichen - Köpfe von Kindern und Köpfe von Großen.

Dass dies, zusammen genommen, für den Kreis Dithmarschen gute Gründe sind, um sie in aller Deutlichkeit und aller Form und Feierlichkeit auszuzeichnen, dazu kann ich nur gratulieren!!

Herzlichen Glückwunsch, Dithmarschen!

Herzlichen Glückwunsch, Manfred Schlüter!