Texte/Reden

Achim Bröger

Laudatio auf Manfred Schlüter - Friedrich-Bödecker-Preis anlässlich der Verleihung am 19. September 2008

Vom 1995 gestorbenen Boy Lornsen hatte ich gehört, dass es da einen Maler gibt, dessen Bilder er sehr mag und mit dem er besonders gern und gut zusammenarbeitet. Manfred Schlüter heißt der. Boy sagte mir das Anfang der 80er Jahre. Später sah ich Manfred Schlüters erste Bilderbücher. ‚Der Lindwurm und der Schmetterling’ und ‚Tranquilla Trampeltreu’ mit den Texten von Michael Ende. Mir fiel auf, wie sich Bild und Text ergänzen, wie sie harmonieren. Der Witz in seinen Bildern fiel mir auf, seine Genauigkeit und die Überraschungen, die er mit seinen Bildern anstiftet. Und in mir wuchs der Wunsch, mit Manfred Schlüter zusammenzuarbeiten.

Zum ersten Mal getroffen haben wir uns Mitte der achtziger Jahre. Eines ist bei unseren Treffen immer gleich geblieben: Ich muss zu ihm aufsehen. Ihm gefiel die Idee der Zusammenarbeit wohl auch. Ich schrieb eine Geschichte für ihn ‚Der rote Sessel’. Er malte farbenfrohe Bilder, witzige skurrile Szenen mit interessanten Perspektiven. Wenn ich das Buch durchsehe, denke ich, es wirkt wie ein Film. Natürlich kann so eine Geschichte auch ohne Bilder existieren. Aber es ist toll, wie viel mehr seine Bilder aus dem Text machen, um wie viel intensiver die Geschichte durch seine Bilder wird. Danach erschien unser zweites Buch ‚Ich kann nicht einschlafen’. Wieder gab es viele kleine und große wunderbare Überraschungen in seinen Bildern.

Ich kannte Manfred Schlüter einige Zeit, als ich hörte, dass er auch schreibt. Damals dachte ich: Muss das sein? Du malst doch so toll. Ich dachte das, weil man bei manchen Malern, die das Schreiben ausprobieren, deutlich merkt, dass das nicht ihre Stärke ist. Dann las ich eine Kurzgeschichte von ihm und die gefiel mir sehr. Später hörte ich Gedichte von ihm. Toll war’s. Über die Gedichte schrieb Paul Maar: ‚Sie können es mit Ringelnatzschen aufnehmen.’ Manfred Schlüter gehört zu denen, die beides beherrschen, malen und schreiben.

Seine Bilderbuchthemen sind nicht absolut ungewöhnlich. Ein paar Beispiele: Zuneigung, Liebe, anders empfinden als der andere, anders sein, trotzdem zusammenfinden wie in seinem berührenden, schönen, ausschließlich schwarz-weißen Bilderbuch ‚Herr Schwarz und Frau Weiß’. Auch der Text ist hier von ihm.

Oder: Die Angst vor dem anderen, dem Fremden. Die Überwindung dieser Angst, das Fremde annehmen können, die Grenzen dadurch erweitern, dieses als Bereicherung erleben und die Erkenntnis, gemeinsam mit dem Fremden ist man größer geworden, stärker wie in dem Buch ‚DER, DIE, DAS und Kunterbunt’. Ein Buch wie ein Gleichnis, das viele Gesprächsanlässe in Schule und Kindergarten bietet. Auch hier ist der Text von ihm.

Oder: ‚Es war einmal ein kleiner Baum’. Darin geht der Blick zurück. Dieser alte Baum hat viel erlebt von seinen Anfängen als winziger Baum in einer fast leeren Landschaft bis heute, wo riesengroß eine Stadt steht, die um ihn entstanden ist. Die Stadien des Wachsens und der Veränderungen erzählt Manfred Schlüter in Bild und Text. Seine großformatigen Bilder … mein erster Eindruck war … fast wie geträumt, hingezaubert, weich, poetisch. Sehr reduziert der Text, verdichtet, äußerst genau. Bild und Text zusammen: Ein wunderschönes, sehr grundsätzliches, sehr ruhiges Buch, das einen langen Zeitraum beschreibt. Man taucht in die Bilder ein, in diese Zeitreise und reist mit.

Diese gar nicht so ungewöhnlichen Themen werden durch Manfred Schlüters Bilder und Texte zu wunderbaren Büchern. Er gibt diesen Themen neuen Glanz. Es sind die wichtigen Themen. Aber seltsam … wenn er damit umgeht, tun sie gar nicht so wichtig.

Hinter seinem Witz, seiner Poesie, seiner Pfiffigkeit, manchmal seiner Skurrilität taucht oft eine Weisheit auf. Die kommt aber nicht erzieherisch daher, sondern fast nebenbei. Trotzdem ist sie präsent und macht seine Bücher zu ambitionierten Büchern. Kinder und Erwachsene können seinen Bildern und Texten etwas entnehmen, was sie für sich verwenden können. In seinen Arbeiten werden wichtige Grundhaltungen deutlich. Manfred Schlüter ist kein Lehrer, aber lernen kann man viel von ihm.

In der Zwischenzeit hatten meine Frau und ich ihn in seinem Haus in Dithmarschen besucht. Die Familie bewohnt dort in Hillgroven eine alte Schule. Wir lernten seine Frau Karin und seine Töchter kennen und fühlten uns sofort wohl bei ihnen. Übrigens … ein bemerkenswertes Haus. Es wächst um diese Familie und wächst immer weiter mit ihren Möglichkeiten von einem kleinen improvisierten Anfang zu etwas sehr Schönem und Großzügigem.

Dort habe ich einige seiner Bilder gesehen, seine freie Malerei. Oft sind die Bilder surreal, wirken durch ihre Genauigkeit trotzdem realistisch, sie sind spannend, manchmal rätselhaft. Sie fordern und überraschen einen. Dann sah ich eines seiner Objekte und war begeistert. Irgendwo habe ich gelesen: ‚Wenn die Flut es gut mit Manfred Schlüter meint, schwemmt sie Holz und andere Schätze an den Deich.’ Daraus baut er seine umwerfenden, weil witzigen, pfiffigen, verrückten Objekte mit wunderbaren Titeln wie ‚Flunkerflügler’, ‚Kleiner Stummelfresser’ oder ‚Komm in meine Arme’.

Wie kam Manfred Schlüter darauf, Bilderbücher zu malen und zu illustrieren, nachdem er Jahre lang ‚frei’ gemalt hatte? Wie kam er darauf, vor allem für Kinder zu arbeiten? Für dieses schwierige Publikum, das Brüche, Fehler erkennt und sie spontan benennt? Das nicht höflich schweigt wie Erwachsene es tun, wenn es gelangweilt wird. Kinder gähnen in solchen Fällen laut oder sagen: Oh … das ist ja öde.

Es heißt, Manfred Schlüter sei durch die Zusammenarbeit mit Boy Lornsen dazu angeregt worden, für Kinder zu arbeiten. Ich sehe Boy übrigens ganz deutlich vor mir, während ich hier stehe und rede. Boy hatte viele gute Ideen. Dass er Manfred Schlüter anregte, für Kinder zu arbeiten, war eine besonders gute, über die sich viele Leute in etlichen Ländern freuen.

Noch etwas fällt auf: In seinen Büchern fühlt man sich wohl. Sie strahlen Wärme aus, sind einfühlsam, freundlich und friedlich. ‚Sie gehen ein bisschen unter die Haut und aktivieren die emotionalen Zentren des Gehirns’. Diesen Satz zitiere ich aus dem Vortrag von Prof. Dr. Hüther zum Thema ‚Weshalb Kinder Bücher brauchen – Neurobiologische Argumente für den Erhalt einer Erzähl- und Lesekultur’. Wenn Bücher so gemalt und geschrieben werden, funktioniert das Lernen bei Kindern und Erwachsenen besonders gut, trug er sinngemäß vor. Und Manfred Schlüters Bücher sind so gemalt und geschrieben.

Ich glaube nicht, dass sich Manfred Schlüter dessen beim Malen und Schreiben bewusst ist. Ich meine, dieser Umgang mit Themen entspricht ihm einfach, ist authentisch.

Ich habe über ihn gelesen: ‚Der erhobene Zeigefinger ist Manfred Schlüter weniger wichtig als das Körperteil zwischen den Ohren’. Ein schöner und wahrer Satz. Ich möchte ihn ergänzen: Wichtig scheint mir bei seiner Arbeit nicht nur das Denken zu sein sondern auch das Fühlen.

Schon sein Schreiben hatte mich ja überrascht. Die nächste Überraschung waren seine Veranstaltungen. In unseren Gesprächen wirkte er auf mich eher zurückhaltend, still, nachdenklich. Ich konnte ihn mir jedenfalls nicht so recht vor vielen Kindern, vor größerem Publikum vorstellen. Ich nahm wohl an, seine Entertaiment-Qualitäten seien nicht so ausgeprägt. Aber das war ein großer Irrtum. Eine Förderschulrektorin schrieb über ihn: ‚Herr Schlüter hat es wunderbar verstanden, die Kinder durch Lesung und Rede zu begeistern. Er bezog die Kinder immer wieder in seinen Vortrag ein, in dem er durchaus schauspielerische Qualitäten bewies.’

Förderschulen können ja wirklich eine Herausforderung sein. Manfred Schlüter meistert auch die. Solches Lob wie das der Rektorin gibt es oft für ihn. Manchmal bin ich dort eingeladen, wo er vorher zu Veranstaltungen war. Überall glänzen die Augen, wenn davon gesprochen wird. Inzwischen habe ich ihn live erlebt.

Er kann das Publikum wirklich mitreißen.

So viele Talente, die er entwickelt hat und dadurch so viele Arbeitsmöglichkeiten. Sein Malen, sein Schreiben, seine Objektkunst, seine Veranstaltungen überall. Natürlich hat er Preise bekommen und Stipendien. Und eigentlich könnte sich so ein Multitalent viel mehr in den Mittelpunkt stellen, könnte sich wichtig machen, selbstgefällig auftreten. Aber Manfred Schlüter ist sich treu geblieben, wirkt echt, authentisch wie seine Bücher. Der Umgang mit diesem Kollegen ist äußerst angenehm. Schön, dass es ihn gibt.

Als Zusammenfassung dieser Laudatio: Manfred Schlüter, der Friedrich-Bödecker-Preisträger 2008, ist ein Könner auf vielen Gebieten und er ist einer DER Sympathieträger des Friedrich-Bödecker-Kreises.

Zum Schluss: Jetzt wurde einiges über dich gesagt. Nun möchten wir gern eines deiner Gedichte hören oder auch zwei oder drei. Hier ist das Buch.