Texte/Reden

Manfred Schlüter

Laudatio auf Roman Klonek anlässlich seiner Ausstellungseröffnung in der Neuen Holländerei in Meldorf am 10. Juni 2010

Roman Klonek.
Ich kenne seinen Namen nicht.
Habe seine Bilder nie gesehen.
Und werde gefragt:
Ob ich die Laudatio halten würde?
Warum? Warum nicht!

Ich weiß nichts über ihn und seine Welt.
Will zunächst auch gar nichts wissen.
Will nichts lesen. Obwohl schon viel geschrieben steht.
Ich möchte Fremder sein und einen eigenen Blick wagen.

Ich schalte den Bildschirm ein und finde seine Seite:
roman klonek, woodcuts, illustration, etc.
Motiv fügt sich an Motiv.
Wie Blumen in einem wilden Garten, denke ich.
Ich sehe Blau und Grün und Gelb, immer wieder leuchtet Rot, und Schwarz setzt kraftvolle Zeichen.
Keine feine Schraffur, kein Pinselstrich!
Die Fläche bestimmt das Bild.
Roman Klonek schneidet seine Visionen ins Holz.

Und er erzählt Geschichten.
Die wachsen langsam aus der farbigen Fläche.
Es sind eigenartige Geschichten.
Haarsträubende, bitterböse, auch liebevolle Geschichten.
Ohne Anfang. Ohne Ende.
Nur eine Szene zeigt er und schickt uns auf die Reise.
Eigentlich erzählen wir seine Geschichten, denke ich.
Und machen sie zu unseren Geschichten.
Und unsere Geschichten unterscheiden sich …

Später lese ich, dass Roman Klonek diese Geschichten nur zum Teil interessieren:

“Ich genieße den Moment, in dem ich eine spannende Schlüsselsituation finde, bei der man gern wissen möchte, was vorher geschah und später geschehen wird.”

Er allerdings wisse es nicht, sagt Roman Klonek, und es interessiere ihn auch nicht.

Aber mich interessiert es.
Und ich denke an das alte Kinderspiel:
Ich sehe was, was du nicht siehst …
Und denke was, was du nicht denkst.
Und stelle meine Fragen.

Ich sehe:
Ein weißes Entchen auf blauem Wasser.
Dem schießen gelbe Blitze aus den Augen.
Und am Horizont explodiert ein Feuerwerk.
Ist es wirklich nur ein Feuerwerk?,
frag ich mich im nächsten Augenblick.
Oder explodiert da unsere Welt?
Und wem gelten die Blitze des Entchens?

Ich sehe:
Zwei Uniformierte. Schwarz.
Keine Augen im Kopf.
Aber Zähne in Reih und Glied. Wie angetreten!
Sie nehmen ein struppiges Tier in Gewahrsam.
Warum? Es schaut so freundlich.
Und hat nur noch zwei Beißerchen.

Ich sehe:
Ein pferdeähnliches Tier.
Das springt durch einen brennenden Reifen.
Und blaue Kugelbäumchen wachsen, die haben Münder mit senkrechten Zahnreihen.
Werden die sich öffnen, zwei Sekunden später, und das Tier verschlingen?
Wer ist für diese Dressur verantwortlich?
Oder springt das Tier aus eigenem Antrieb?

Ich sehe:
Ein käferartiges Wesen.
Das irrt durch eine öde Landschaft.
Mit einer Keule bewaffnet.
Es scheint jemandem zu drohen.
Aber wem? Dieser Jemand zeigt sich nicht.
Doch drei Blitze zeigen sich.
Die flitzen übern grünen Himmel, und einer trifft das käferartige Wesen.
Vielleicht rettet das den unsichtbaren Jemand.
Doch wer weiß schon, ob das gut ist oder schlecht?

Ich sehe:
Einen rostroten Totenschädel.
Der scheint zu kichern.
In einer seiner schwarzen Augenhöhlen glimmt eine Zigarette.
Und auf dem Schädel hockt ein weißer Vogel mit Hütchen, der hat ein schwarzes Herz im Schnabel, das schaut wie ein Gesicht … und schweigt.
Will uns sein Schweigen etwas sagen?, frag ich mich und sage nichts …

Und sehe:
Die Nase eines Herrn.
Die ist auf Ballongröße gewachsen, reißt sich los und steigt auf zum Himmel.
“Good bye nose”, schreibt Roman Klonek dazu.
Nie mehr Schnupfen, denke ich und muss grinsen.
Und doch: Ich leide mit dem Herrn …

Und sehe:
Eine surreale, absurde, oft plakative Welt, in der Comic und Popart zu Hause sind.
Das leise Lächeln auch.
Und sehr schwarzer Humor.
Da gibt es keine Grenzen!
Da lehnt sich der Bild gewordene düstre Traum an eine unbeschwerte, heitere Szene.
Und manchmal ist das eine in dem andern.

Ich sehe … und sehe …
und frage mich, warum Roman Klonek seine Kunst ausgerechnet in Holz schneidet und in diversen Druckvorgängen mühevoll aufs Papier presst?
Schließlich setzt die strenge Technik ihm jene Grenzen, die er in seinen Bildern lustvoll niederreißt!
Aber vielleicht ist es gerade dieser vermeintliche Widerspruch, der den geheimnisvollen Reiz seiner Arbeiten ausmacht …

Später lese ich,
Roman Klonek habe Mitte der 90er Jahre in Trier eine riesige, wunderschöne, charakterlich ausgereifte Druckpresse aus dem Jahr 1910 entdeckt.
Das sei der Beginn einer großen Liebe gewesen.
Heute, so lese ich weiter, würden sich die beiden nur noch selten sehen.
Und wenn doch einmal, dann sei alles wie früher …

Schön,
dass eine Auswahl seiner Holzschnitte den Weg nach Meldorf gefunden hat!
Dass ich seine Arbeiten endlich im Original betrachten kann!
Bereits gestern konnte ich einen ersten Eindruck von der wirklichen Größe und Farbigkeit seines bizarren Universums gewinnen, von der Kraft, die seinen Werken innewohnt.
Heute werde ich diesen Eindruck vertiefen.
Ich werde mich in seinem wilden Garten verirren!
Und freue mich darauf …