Bücher

1978 lernte ich Boy Lornsen (1922 –1995) kennen.
Er, der bekannte Schriftsteller (Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt), hat mir die Tür zur Bücherwelt geöffnet.

Mit ihm habe ich oft zusammengearbeitet.
Von ihm habe ich gelernt.
In meiner Arbeit. Und als Mensch.

1998 habe ich mich – anlässlich einer Veranstaltungsreihe in Keitum auf Sylt – mit einem kleinen Aufsatz an ihn erinnert:


Ich wurde gebeten, über einen Menschen zu schreiben, der mir zum Freund geworden ist. Aus der Sicht des Illustrators, der oft mit ihm zusammengearbeitet hat, sollte ich über den Schriftsteller Boy Lornsen berichten.
Ich habe es versucht.
Ich kann es nicht.
Er ist nicht mehr auf dieser Welt – und mir doch so nah. Deshalb werde ich nicht ÜBER Boy Lornsen schreiben. Ich werde ihm einen Brief schreiben!

Lieber Boy,
wenn ich an Dich denke, denke ich immer auch an unseren ersten Abend. 1978. Brunsbüttel.
Ihr lebtet noch dort, in der Schleusenstadt am Kanal, wir schon nicht mehr.
War es ein Zufall, dass wir uns dennoch begegnet sind?
Ich weiß es nicht. Für mich jedenfalls war es ein Glück!
Dieses erste Kennenlernen, diese langsam wachsende Vertrautheit, aus der im Laufe der Jahre eine Freundschaft wurde, hat mein Leben verändert.

Du hast mir die – bis dahin verschlossene – Tür zur Bücherwelt aufgestoßen. Dass ich Illustrator bin, habe ich Dir zu verdanken. Und nicht nur das!

Du warst jemand, an dem ich mich orientiert habe.
In der Arbeit und als Mensch. Ich denke an Deinen kritischen Geist, an Deinen Humor, auch an Deine Hartnäckigkeit und die – manchmal erbarmungslose – Konsequenz.
Ich denke an Deine Fähigkeit zu genießen – ein Mettwurstbrot in Kohlenförde, ein Glas Rotwein in Keitum, ein Stück Leben.
Ich denke an Deine Begeisterung, wenn ein neues Buch Gestalt annahm. Du konntest Deine Begeisterung zeigen. Das steckte an, hat Kraft und Mut geweckt.
Und Ideen!

Du konntest in Bildern denken, warst schließlich nicht nur Schreiber, sondern auch Zeichner, Bildhauer, hast einige Deiner Bücher selbst illustriert. Du hast Bilder geschaffen – auch mit Deiner Sprache. Du hattest eine Ahnung von dem, was sich umsetzen lässt mit Stiften, Pinseln, Farben.
Und Du kanntest die Grenzen – manch großartige Idee funktioniert leider nur im Kopf. Das Wissen darum und die Tatsache, dass wir ähnliche Vorstellungen hatten von den Bildern, die Deine Geschichten begleiten und unterstützen sollten, ließen eine reibungslose – aber dennoch aufregende – Zusammenarbeit gedeihen.
Eine Zusammenarbeit, in der ich gewachsen bin, in der ich gelernt habe.

Ich habe gelernt, dass man auch einer einfachen Sprache eine Melodie einhauchen kann.
Und ich weiß, wie sehr Du – bei den Williwittgeschichten zum Beispiel – um die richtigen Worte gerungen hast.

Ich habe gelernt, dass Illustrationen hundertprozentig
mit dem Text übereinstimmen müssen, dass Kinder äußerst kritische Leser und Betrachter sind.

Ich habe aber auch gelernt, dass das Bild durchaus eigene Geschichten erzählen darf, dass es manches besser erklären kann als viele Wörter.

Und schließlich habe ich gelernt, dass Ideen schneller und üppiger sprießen, wenn man miteinander redet.
Das haben wir getan. Am Anfang eines jeden neuen Buches stand immer das Gespräch. Über Gott und die Welt, nicht zielgerichtet. Und dennoch war nach zwei, drei Stunden oder Tagen der grobe Kurs abgesteckt und das Ziel klarer sichtbar.

In den folgenden Wochen wuchsen Bilder auf dem Papier. Schmuddelskizzen zunächst, Entwürfe, endlich Reinzeichnungen. Am Text wurde gefeilt. Und immer waren wir im Gespräch.
So konnte etwas wirklich Gemeinsames entstehen, die Einheit von Text und Bild. Unsere Zusammenarbeit trägt ihren Namen zu Recht. Dafür danke ich Dir.

Und dafür, dass Du mich immer wieder bestärkt hast –
in meiner künstlerischen Entwicklung, in der Auseinandersetzung mit Verlagen, in meinen eigenen schriftstellerischen Versuchen, in meinem Entschluss, Veranstaltungen für Kinder und mit Kindern anzubieten.
Du hast mir – immer wieder – Mut gemacht, meinen Weg zu gehen! Und immer wieder haben sich unsere Wege gekreuzt, hatten gar dieselbe Richtung von Zeit zu Zeit…
Vergangenheit!

Lieber Boy, wenn ich an Dich denke, denke ich immer auch an unseren letzten Abend. 1995. Glücksburg.
Zum ersten Mal waren wir uns auf einer Lesereise begegnet. Ein Grund zum Feiern!
Wir wussten ja nicht, dass dieses erste Mal auch das letzte Mal sein sollte…

Ich danke Dir für so vieles!
Dein Manfred Schlüter